Das Karfreitags-50 Kilometer-Dreieck

von Dennis Hönisch

Karfreitag, 18.4.2003. Früh morgens um 7 Uhr (Ortszeit) reißt mich der Schrei meines Weckers aus dem Bett. Sofort hechte ich ans Fenster meines Pensionszimmers und reiße den Vorhang auf.

Heute soll mein Leben als Streckenflieger beginnen.

Erst gestern habe ich mir mit Rainer Stöckl das von der Deutschen Alpensegelflugschule in Unterwössen geforderte 50 km Dreieck mit dem Rotax Falken angeschaut.

Ichbin der Erste, der diese Herausforderung in der erst frischen Saison angehen will. Das Dreieck ist gerade neu ausgearbeitet worden und so bin ich auch der Erste, der es einweihen darf.

Die Strecke beginnt am Unterwössener Hang oder am Hausbart, der per F-Schlepp erreicht wird. Ich will es sportlich über den Hang und dann den Hausbart probieren.

Bereits am Vorabend teilte ich meinen Plan einigen Leuten am Platz mit. Ein „alter Hase“ erklärte mir, dass wir eine Ostlage haben und deshalb der Hausbart nicht funktionieren wird. Doch noch hoffe ich das Beste.

Als ich endlich freien Blick nach draußen habe, blicke ich direkt auf den Hang und einen strahlend blauen Himmel, wie auch die Tage zuvor. Also nichts mit dem vom Wetterbericht angekündigten Regenwetter. Als ich nach dem Frühstück am Platz eintreffe, werde ich beim Ausräumen der Halle bereits leicht nervös. Ich will endlich los, endlich den Bereich verlassen, in dem ich den Platz noch einsehen kann. Ich will meinen ersten Streckenflug angehen.

Gleich beim Morgenbriefing reserviere ich mir meine Lieblings-K8, die D-9155. In den letzten Tagen, in denen ich einige tolle Höhenflüge mit ihr unternommen hatte, habe ich mich entschieden, wenn möglich mit ihr auf die erste Strecke meines Lebens zu gehen.

Den Morgencheck führe ich heute besonders gründlich aus. Zweimal hole ich mir eine neue Batterie, da die erste nicht ganz voll ist.

Anschließend bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten. So helfe ich einem Freund, seine neu erstandene DG101 aufzubauen. Wir haben vereinbart, die Strecke zusammen zu fliegen. Gegen Mittag putzen wir die Flächen der 9155, rußen den Barographen und verstauen die Bordpapiere sowie die ICAO Karte im Flieger.

Endlich schieben wir die DG und die K8 hintereinander in die gerammelt volle Startaufstellung. Ein Seilriß bei der ASK21 vor mir verzögert meinen Start um einige Minuten. Mittlerweile hängen einige dicke Cumuluswolken am Himmel. Als ich endlich um 1056 UTC von der Winde auf etwa 350 Meter GND geschleppt werde, gehe ich in einer Rechtskurve sofort an den bereits recht vollen Hang. Dort rufe ich im Funk nach der DG. Es kommt keine Antwort. Später stellt sich heraus, dass die sich in dem heute nur sehr schlechten Steigen am Hang nicht hatte halten können. Während ich noch auf den Start wartete, war sie schon wieder gelandet. 

Auch ich habe am Hang so meine Probleme. In der eigentlich viel zu geringen Höhe von 650 Metern über Platz entschließe ich mich, die schätzungsweise vier Kilometer zum Hausbart zu fliegen. Eigentlich tue ich dies mit der K8 sonst nur aus 750-800 Metern. Auf halber Strecke wird meine rechte Fläche leicht von Thermik angehoben. Sofort kreise ich hoffnungsvoll ein. Doch meine Erwartungen werden enttäuscht. Nach einem Halbkreis in ½ m Steigen geht es danach nur noch nach unten. Auch in einem zweiten Suchkreis nichts als Saufen. Nun ist meine Höhe endgültig zu gering, um den etwa 500 Meter über dem Platz gelegenen Hausbart noch zu erreichen. 

Den Hang erreiche ich wieder in knapp 350 Metern. Mühsam arbeite ich mich in dem schwachen, unstetigen Steigen wieder nach oben. Doch über 600 Meter komme ich nicht. Statt dessen geht es wieder runter. Mit mir sinken auch alle anderen Flugzeuge am Hang. Dank ihres geringen Gewichts und ihrer guten Steigleistung kann ich mich mit der K8 vergleichsweise lang halten. Während ich so dahin sinke komme ich der Verzweiflung nahe. Das kann es doch nicht gewesen sein. Im Magen habe ich ein komisches Gefühl. Ich weiß genau, dass heute die letzte Chance ist (oder war), die 50km zu fliegen. Morgen wird es sicher regnen. Hätte ich es doch nur einen Tag vorher versucht. Da habe ich den ersten Wendepunkt noch so problemlos erreicht.Als die ersten im Pulk den Hang verlassen und Position melden, erteilt Jörg Präfke, unser Schul- und Ausbildungsleiter über Funk Anweisungen über Kurz- und Langlandungen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich völlig niedergeschlagen und enttäuscht von mir selbst und sinniere schon über das hässliche Bild, das die Barographennadel auf dem gerußten Metallstreifen hinterlassen haben muss.

Als ich noch weiter sinke, melde ich verärgert über die schwache Vorstellung das Verlassen des Hangs. Aus meinem Funkspruch muss man wohl meinen Gemütszustand herausgehört haben. An der Position werde ich völlig unerwartet von schwachem Steigen erfasst. Der Bart läßt sich leicht zentrieren. Ich versuche keinen Fehler zu machen und bin voll konzentriert. Tatsächlich hebt mich der Bart bis auf etwa 1800 Meter GND! Von nun an ist meine Laune blendend. Sollte ich, ein Anfänger, zu den Glücklichen gehören, die heute den Anschluss an die Thermik finden? Zu diesem Zeitpunkt ist die Wolkendecke beinahe geschlossen. Aus meiner komfortablen Höhe mache ich mich auf nach WNW, über den Hausbart Richtung Geigelstein. Der Haubart geht - wie angekündigt - nicht. Doch an der „Zahnradbahn“ gleich daneben hoffe ich auf erneutes Steigen. Am Anfang der Zahnradbahn, einem Bergausläufer, der auf seiner Nordseite durch Hangaufwind geht und auf der Südseite durch Thermik, steige ich ohne Kreis am Grat entlang bis zum Gipfel. Dort begegnet mir Rainer in einem Mose sowie eine andere K8. Glücklich erreiche ich das Westende der Zahnradbahn und melde das Erreichen des ersten Wendepunktes.

Mein nächstes Ziel ist die Hörndelwand. Diese liegt vom Geigelstein in Richtung OSO. Ich beschließe, in dem Bart über der Position noch mal Höhe zu tanken und mir den Umweg über den Hausbart, mit dem ich an diesem Tag einfach zu schlechte Erfahrungen gemacht habe, zu sparen. Die Wolke, die den Positionsbart markierte, ist inzwischen leicht nach Süden, also über den Hang gewandert. Mit der Geschwindigkeit des besten Gleitens, also etwa 75 km/h, mache ich mich auf den Weg. Es ist leicht, den Bart unter der dicken Wolke mit ihrer glatten dunklen Unterseite zu zentrieren. Nach mehreren Minuten in steilen Kreisen erreiche ich die zum Weiterflug nötige Höhe und gehe erneut auf Kurs. Ich fühle mich königlich.

Ohne einen weiteren Kreis fliege ich im Delphinstil (ich glaube zumindest, der sieht so aus) zum zweiten Wendepunkt. Direkt über der markanten Hörndelwand steht ein breiter Bart, der mich in wenigen steilen Kreisen erneut auf eine komfortable Höhe zieht. Als ich das Erreichen des zweiten Wendepunktes melde, kommt von Jörg als Antwort nur ein: „Sauber Dennis“ zurück. Jetzt weiß ich, dass ich die 50 Kilometer im ersten Anlauf schaffen werde. Das hätte heute keiner mehr erwartet.

Übersee, mein dritter und letzter Wendepunkt, ist durch einfaches Höheabgleiten zu erreichen. Also nehme ich Kurs auf den Hochgern. Auf den Weg dorthin kurble ich, übervorsichtig wie ich bin, jeden Bart aus, der mir begegnet. Erst jetzt beginne ich den schneidend kalten Fahrtwind, der durch die Ritzen unter der Haube herein kommt, zu spüren. Mit tun die Finger und die Backen weh. Den Hochgern überfliege ich mit mehr als hundert Meter über dem Gipfelkreuz. Diese Höhe reichtlocker, um ohne weiteres Steigen Übersee zu erreichen und zum Platz zurückzufliegen. Doch ich will den ausgerechneten Zahlen einfach nicht vertrauen. So schraube ich mich kurz nach dem Bergmassiv erneut in sicherste Höhe. Diese Höhe kann ich beinahe ohne nennenswerte Verluste bis Übersee halten. So fliege ich ungefähr 10 Kilometer in 2100 Meter GND.

Als ich sehe, wie die Kirche in Übersee etwa 1800 Meter unter meiner linken Fläche nach hinten auswandert, wende ich und teilte dies erneut über Funk mit.

Den Rückweg nach Unterwössen kann ich wegen meiner viel zu großen Höhe durchgehend mit über 150km/h zurücklegen. Eine solche Geschwindigkeit kommt in der K8 einem Sturzflug gleich.

In den wenigen Minuten Rückflug kann ich im Funk verfolgen, wie die Landerichtung wegen des sehr starken Rückenwindes von 06 auf 24 umgestellt wird.

An der Position versuche ich die letzten 400m Höhe abzubauen. Doch anstatt zu Sinken steige ich erneut. Da der Windenbetrieb wegen des starken Rückenwindes eingestellt wurde, beschließe ich, zur Achenbrücke zu fliegen, um dort die Resthöhe in ein paar Steilkreisen abzubauen. Währenddessen lege ich mir meine Landeeinteilung für die 24 zurecht.

Im Endanflug spüre ich an dem starken Druck auf den Ohren, dass ich die 1800 Meter in zu kurzer Zeit vernichtet habe. Nach der Landung behalte ich für mehrere Minuten ein dumpfes Gefühl im Trommelfell zurück. Doch der Triumph über meinen Erfolg läßt mich alle Unannehmlichkeiten auch meine vor Kälte weißen und tauben Finger vergessen.

Als ich den Barographen ausbaue, hat sich meine Befürchtung bewahrheitet. Die erste halbe Stunde sieht grausam aus. Doch wen kümmert‘s? Die restlichen zwei Stunden sind bis auf einige Ausnahmen fast konstant hoch.

Nachtrag

Für meinen ersten Streckenflug finde ich die Leistung doch ganz ordentlich. Ich habe zwar gemerkt, dass mir viele strategische Fehler unterlaufen sind. So hätte ich mich zum Beispiel schon am Hochgern zum konsequenten Höheabgleiten entschließen sollen.

Diesem ersten Streckenflug sind im Sommer noch viele schöne weitere gefolgt. So auch mehrere 130 Kilometer-Dreiecke. Trotz dieser längeren Flüge denke ich gerne und auch mit etwas Stolz an den 50er zurück. So habe ich dem scheinbar aussichtslosen Wetter den für mich bis dato weitesten Flug abgerungen.

Ein Grund, warum mir die 50 - als ich endlich oben war - doch recht leicht gefallen sind, liegt sicher daran, dass ich in den Tagen zuvor mehrfach Teilstrecken geflogen bin. So war nur das letzte Stück zur Hörndelwand Neuland für mich.

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