Hingeflogen, zurück gezogen:
Meine erste Außenlandung

von Michael Ostermaier

 

Der Autor

Michael Ostermaier ist 17 Jahre alt und geht in die 12. Klasse eines Münchner Gymnasiums. Mit 13 Jahren begann er mit der Fliegerei und machte 2002 seine praktische Prüfung. Seit 2003 ist er Scheininhaber. Sein Vater (selbst begeisterter Segelflieger) und er kauften sich im März 2003 eine eigene DG 101.

Pfingstferien 2003 - ich sitze mit ein paar Freunden am Kiosk des Unterwössener Flugplatzes. Dennis, einer meiner besten und engsten Fliegerkameraden, stößt zu uns, und hat blendende Neuigkeiten: Er erzählt mir, er habe gerade mit einem Piloten gesprochen, der - um nicht aus der Übung zu kommen - in den nächsten Tagen einen doppelsitzigen Streckenflug mit Rainer Stöckl, dem damaligen stellvertretenden Schul- und Ausbildungsleiter, in Richtung Alpenhauptkamm unternehmen will. Das Gute für uns an dieser ganzen Sache sei, dass wir uns an Rainer dranhängen, ihm also hinterher fliegen können.

Das war natürlich eine tolle Sache für uns Scheinneulinge, da wir bislang nie dazu kamen bzw. uns nicht recht trauten, aus dem näheren Platzbereich auszufliegen.

Unser nächster Gang führte also ins Büro zu Rainer, um mit ihm alles "klar" zu machen. Nachdem er nichts einzuwenden hatte, stand unserem ersten "großen" Streckenflug nichts mehr im Wege.

Es folgten ein paar Tage, an denen an unser Vorhaben nicht zu denken war. Zudem stellte sich heraus, dass Dennis, der gerade erst seinen Schein bekommen hatte, mit einem Schulflugzeug den näheren Platzbereich erst nach einer gewissen Anzahl von Flugstunden verlassen durfte. Diese relativ neue Regel zwang Dennis leider dazu, den Flug sausen zu lassen. Da ich ein eigenes Flugzeug hatte, betraf mich diese ganze Geschichte zwar nicht, aber ich konnte durchaus mit ihm mitfühlen, da er sich mindestens genauso auf den Flug freute wie ich. Dass er sich jedoch trotzdem für mich freute, bewies mir, was für einen Freund ich in ihm habe.

Am 17. Juni schließlich wachte ich gegen 7 Uhr in meiner Stammpension bei der guten alten Frau Aberger auf, blickte zum Himmel und wusste: Heute mache ich meinen ersten richtigen Streckenflug! Schnell eine Tasse Tee und eine Semmel runtergewürgt, und schon saß ich auf meinem Roller auf dem Weg zum Flugplatz. Kurz nach 8 Uhr stand ich vor Rainer im Büro, der mir bestätigte, dass wir heute bestimmt gut vorankommen würden, und mir riet, meinen Flieger schnellstmöglich aufzubauen.

Gesagt, getan. Ich schnappte mir Dennis, um den Flieger zusammen zu stecken, was uns als eingespieltes Team nicht schwer fiel. Um circa 9 Uhr stelle ich den fertigen Flieger vor die Halle, wo auch schon der Pilot, der mit Rainer flog, auf mich wartete. Er hatte allerdings Zorn und Ungeduld in der Seele: Wie so oft wollten - bei besten Streckenwetter - viele Schüler ihre „Kunststoffeinweisung“ auf der ASK21 machen, dem einzigen Kunststoff-Doppelsitzer am Platz. Und die 21 brauchten wir ja nun für unser Vorhaben ... Also blieb uns nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und ungeduldig zu warten. Irgendwann konnten wir uns die 21 dann doch schnappen, und schoben glücklich und erwartungsvoll beide Flugzeuge in die Verlängerung zum F-Schlepp-Start.

Rainer gab mir letzte Anweisungen zum Flugverlauf und startete dann in der 21 vor mir. Mich schleppte Jörg Präfke, unser "Chef", mit einem Rotax Falken zum Rechenberg, dem zuvor verabredeten Treffpunkt mit Rainer. Jörg gab mir das Zeichen zum Ausklinken, wünschte mir viel Spaß und ließ mich mitten im Steigen raus.

Ich stellte meinen Funk auf die Quassel-Frequenz und meldete Rainer, dass ich nun auch da sei. Sobald wir auf gleicher Höhe waren, gab Rainer - meines Erachtens nach ziemlich niedrig  (und davor fürchtet sich wohl jeder Streckenneuling) - durch, dass es nun weiterginge.

Wir überflogen die Hörndlwand und das Dürnbachhorn, und ich war gar nicht dazu in der Lage, den Flug zu genießen - so erpicht war ich darauf, an der 21 dran zu bleiben und mir beim Kurbeln ja keine Blöße zu geben.

Sehr schnell waren wir über den Loferer Steinbergen, und nun musste ich dieses imposante, ausladende Gesteinsmassiv, dass ich zum erstenmal überflog, auf mich wirken lassen. Vor lauter Schönheit übersah ich vollkommen, dass wir nicht alleine hier waren. Eine Kollegin vom Platz holte mich schließlich in die Wirklichkeit zurück, als sie in ihrem Discus an mir vorbeibrauste. Erschrocken über meine eigene Unachtsamkeit passte ich nun doppelt auf, da sich in dem sehr guten Bart ziemlich viele Flieger befanden, wie ich nun feststellte.

Dann ein eisiger Schreck - wo ist denn überhaupt Rainer? Entweder hatte ich die Funkmeldung vom Weiterflug überhört oder Rainer hatte vergessen, sich zu melden. Weit Richtung Süden blickend konnte ich schließlich einen kleinen Punkt ausmachen. „Rainer“, fragte ich über Funk, „was für einen Kurs fliegt ihr?“. „180 Grad“ war die kurze und präzise Antwort. Da ich mir nun sicher war, am Horizont die 21 ausgemacht zu haben, nahm ich den Knüppel nach vorne und holte die beiden relativ schnell wieder ein. So flogen wir weiter im Verband.

Im weiteren Verlauf des Fluges lernte ich nun unter anderem das bekannte Sausteigen kennen, das auch an diesem Tag seinem Namen alle Ehre machte. Als ich schließlich den Zeller See mit dem südlich davon gelegenen Flugplatz vor Augen bekam, dachte ich heimlich: „Warum bloß hast du das bis jetzt noch nie selber gemacht?“. Alles schien so nah, und die Supersteigwerte machten uns bis dahin alles andere als Schwierigkeiten. Aber die Probleme sollten noch kommen, denn Rainer dirigierte uns wenig später zielsicher ins Verhängnis... Aber ich will der Geschichte nicht vorgreifen.

Über Zell und das Salzachtal hinweg flogen wir auf das herrliche Alpenpanorama zu, das mich wieder ganz gefangen nahm. Dann ging es direkt weiter ins Gasteinertal hinein und ich betrachtete fasziniert die überwiegend grünen Berghänge, die in ihrer ganzen Schönheit vor mir lagen.

Auf dem bisherigen Flug hatten wir schwächere Bärte unbeeindruckt links liegen lassen, was mir zumindest nun im weiteren verlauf des Fluges etwas überheblich vorkam, da im Gasteinertal kaum ausfliegbare Thermik zu finden war. Schlug das Vario mal nach oben aus, so ging es Sekunden später wieder um das dreifache nach unten.

Doch wir kämpften uns weiter vor, bis wir schließlich zu niedrig waren, um aus dieser Falle wieder herausfliegen zu können. Und so fanden wir uns bald darauf an einem Hang in beängstigend geringer Höhe und zogen dort unsere Achten.

Doch der Hang, an dessen Fuß der Ort Bad Gastein lag, zeigte uns wie der Rest des Tals in Sachen Thermik die kalte Schulter. Wir flogen eine verzweifelte Acht nach der anderen und kamen doch nur der Erde immer näher. Die Erde kam immer näher und die Optionen wurden weniger - und schließlich wurde mir klar: "Ich mache heute meine erste Außenlandung"! Und dann flogen wir auch schon zur Landung an - erst Rainer, dann ich. Unsere Wiese war ein Drachenlandeplatz in Bad Gastein, der uns mit 60 bis 70 cm hohem Gras empfing, dessen Samen durch die offene Lüftung und das offene Ausstellfenster mein Cockpit überfluteten (ekelhafte Fieselei, den Dreck da wieder raus zu bekommen).

Als ich die Haube öffnete und ausstieg, begrüßte mich Rainer, der ja vor mir landete, über Funk mit den Worten: „Willkommen im Gasteinertal!“. „Aha“, dachte ich mir, „jetzt weißt du, wo du bist“, denn ich muss zugeben, dass ich den gesamten Flug über genug damit zu tun hatte, Rainer hinterher zu kommen, sodass ich zum Navigieren wirklich keinen Kopf hatte.

Nachdem wir unsere Flieger notdürftig beiseite geschoben hatten, gaben uns die anwesenden Drachenflieger einen Tip, wo man hier eine ordentliche Brotzeit machen könne. Etwa 20 Minuten später fanden wir uns in dem gemütlichen Garten einer Wirtschaft ein, die zufällig dem Bruder des Bauern gehörte, auf dessen Wiese wir gelandet waren.

Wir saßen gerade bei einem kühlem Radler und einer Wurstplatte, als uns der sehr freundliche Wirt (selbst ein Drachenflieger) eröffnete, dass er soeben mit seinem Bruder telefoniert hätte und der nur wolle, dass wir unsere Anschrift hinterlassen. Rainer hinterließ also seine Karte und wir machten uns keine weiteren Gedanken.

So saßen wir noch eine ganze Weile in den gemütlichen Liegestühlen, bis wir einen schon ziemlich tief kreisenden Segelflieger am Himmel ausmachten. Mit unseren heute gesammelten Erfahrungen waren wir nicht überrascht,  die Mauterndorfer K-6 eine Viertelstunde später auf unserer Wiese in Empfang nehmen zu können. Zusammen warteten wir weiter auf unsere Rückholer und unterhielten uns mit den Drachenfliegern. 

Nach langer, zermürbender Warterei tauchten endlich auf der Landstraße gegenüber unserer Wiese der blaue Pritschenwagen von Andreas Eisele mit dem 21-Hänger und der blaue DASSU-Bus mit meinem Hänger im Schlepptau auf. „Hoffentlich haben die uns gesehen“, dachte oder sagte ich, denn unsere Helfer kamen waren so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Nach ungefähr 10 Minuten kamen sie dann doch noch nach einer kleinen Irrfahrt durch die verwinkelten Gassen Bad Gasteins angebraust.

Doch nun fingen die wahren Probleme erst an, denn wie sollten wir die Flieger aus der Wiese in die Hänger bekommen? Die DG 101 kann man ja ohne Probleme in ihre Einzelteile zerlegt tragen, aber mein Flieger war ja auch nicht das eigentliche Sorgenkind.

Das viel größere Problem stellte die ASK21 mit ihren etwas sperrigeren Ausmaßen und vor allem ihrem Gewicht dar. Wer diesen Vogel schon einmal auf- bzw. abgebaut hat weiß was es bedeutet, die schweren Flächen über eine breite Wiese mit hochstehendem Gras zu schleppen.

Um uns das zu ersparen, rangierten wir den Hänger durch ein zuvor geöffnetes Gatter in die Wiese. Und dann passierte, was passieren musste: Wir blieben stecken, da der Hänger in der abschüssigen Wieseneinfahrt an der Deichsel und am Heck auflag und sich im lockeren Erdreich verkeilte.

Mit vereinten Kräften bekamen wir ihn dann doch wieder irgendwie frei und machten uns endlich ans Abrüsten. Das Abbauen erwies sich zur Abwechslung mal als problemlos. Doch nun ging es darum, den Anhänger samt 21 wieder von der Wiese auf die Straße zu bekommen. Wie es nicht anders zu erwarten war, steckten wir wieder fest, nur dieses Mal war der Hänger dank Inhalt um einiges schwerer. „Da muss schweres Gerät ran“, dachte sich zu diesem Zeitpunkt wohl jeder.

In diesem Moment kam ein Auto an, aus dem der Besitzer der Wiese, die wir gerade umpflügten und sein Sohn stiegen. Beide waren von einem Drachenflieger alarmiert worden, der unser Rumgewürge in der Wiese mitbekommen hatte (ich hätte es kameradschaftlicher gefunden, wenn er mitgeholfen hätte statt zu telefonieren). Ohne eine Miene zu verziehen, betrachteten die beiden abwechselnd uns und die Hänger in ihrer Wiese.

Keiner wagte zu reden, bis der Bauer das Schweigen brach: „Ja wia stellts ihr eich des jetzt vor?“. Rainer brach das wieder entstandene Schweigen auf die Frage des Bauern und erklärte dem spürbar verärgerten Landwirt besänftigend, dass wir keine andere Möglichkeit hätten, den Flieger aus der Wiese zu bekommen.

Doch dieses Argument ließ der Bauer nicht zu und konterte: “Den Fliager trang ma eich ja zviert aussi!“ (den Flieger tragen wir euch ja zu viert aus der Wiese). „Nein den tragt ihr nicht zu viert raus“ gab Rainer, der mittlerweile selbst sauer geworden war, dem Bauern zu verstehen. Die Debatte heizte sich auf und der Bauer revidierte Rainers Aussage unverzüglich: “Mia hia scho!“

Die Sache eskalierte und für Augenblicke erwartete ich eine handfeste Schlägerei zwischen den beiden, doch sie beruhigten sich wieder und schließlich fragte Rainer den Bauern, ob er uns denn vielleicht helfen könnte, den Anhänger aus seiner Wiese zu bekommen.

„Hast du einen Traktor?“( mit dem wir den Hänger ohne Probleme frei bekämen). Die Antwort auf die Frage war: “Zwoa!“ (Zwei), “san aber auf da Oim drom“(sind aber auf der Alm oben). Nichtsdestotrotz schickte der Bauer seinen Sohn los, um einen Traktor zum Bergen zu holen.

Das Ende der Geschichte ist schnell erzählt.

Wir bekamen mit Hilfe des doch noch zahm gewordenen Bauers den Hänger frei und traten unsere lang ersehnte Heimreise an.

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